Als wär’s ein Lehrstück über Totalitarismus, Rassismus, Genozid und politische Verstrickungen: «Kambodscha». Für die meisten bedeutet dies «Angkor» und «Pol Pot», «Killing Fields» und «Korruption». Das einstige Reich der Khmer ist ein Land der Erinnerungen und Projektionen, Hoffnungen und Alpträume – und gleichzeitig ein Musterbeispiel für Machtmissbrauch und politische Fehlschläge, die sich bis heute in allen Weltregionen wiederholen.
Weit mehr als romantisch-verwunschene Tempelbauten, gnadenloser Terror und postmoderner Grössenwahn aber ist Kambodscha vor allem eines: Kampf um Unabhängigkeit und Suche nach einer postkolonialen Identität. Nach fast hundert Jahren französischer Kolonialbesatzung galt es, die Geschichte des Landes in neue Bahnen zu lenken. Dabei sollten Stadtplanung und Architektur eine zentrale Rolle spielen.
Vor dem Hintergrund der Kolonialgeschichte und der Befreiungskämpfe berichtet der Essay über das Entstehen, die Blüte und das Vermächtnis der New Khmer Architecture und ihres bekanntesten Protagonisten, Vann Molyvann. Die politischen Katastrophen Südostasiens und der beteiligten ausländischen Regierungen werden ebenso untersucht wie die Zerstörung vieler Bauten durch die Roten Khmer und den nachfolgenden Raubtierkapitalismus.
Was trotz aller Vernichtungsfeldzüge und Zerstörungswut blieb, ist ein faszinierendes Modell innovativer Architektur: Orientiert an sozialen Bedürfnissen, verwurzelt in einem strengen Modernismus, erfindungsreich im Umgang mit Material und Ressourcen, zählt Van Molyvanns Werk bis heute zur Avantgarde der Architekturgeschichte.
Claus Donau
180 Seiten, 95 Abbildungen
(Text: Claus Donau; Abbildungen: div. Bildarchive, Sam Yokly, Rory Byrne, Claus Donau)
Basel 2023 (Open Access)